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Informatische Literalität nach dem PISA-Muster und ihre Operationalisierung durch Test-Items

 

Hermann Puhlmann

Lehrstuhl für Informatik II
Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg
Martensstr. 3
91058 Erlangen
puhlmann@ic4life.net


Zusammenfassung:
In diesem Beitrag wird der Literacy- oder Grundbildungsbegriff der PISA-Studie auf die Informatik übertragen. Dazu wird eine Unterscheidung in Kompetenzklassen eingeführt, die Arten informatischer Tätigkeit beschreiben. Anhand von Beispiel-Test-Items werden diese Kompetenzklassen operationalisiert. Erste Schülerantworten zu diesen Test-Items erlauben es, über die Beispiel-Items zu reflektieren.

Abstract:
In this article, the concept of "Literacy in Informatics" is developed in analogy with the literacy concept of OECD-PISA. To this end, competencies in informatics are grouped in three classes reflecting different kinds of informatics-related occupation. The idea of these classes is further illustrated by sample test items. A small number of pupils of a secondary school answered these items, which allows for a first reflection on the items.


 


Informatik und PISA

In jüngster Zeit hat nichts die Bildungslandschaft so sehr aufgerüttelt wie die Ergebnisse der PISA-Studie (Programme for International Student Assessment) der OECD [3]. In der PISA-Studie wurden Kompetenzen 15-jähriger Schülerinnen und Schüler in den Bereichen Lesen, Mathematik und Naturwissenschaften untersucht. In einer umfangreichen Begleiterhebung wurden auch schulische, soziale und kulturelle Merkmale der Testpersonen erfasst. Hierbei wurde auch erfragt, in welchem Umfang die Testpersonen Computer und das Internet nutzen. Insofern ging die Nutzung des Mediums Computer als "kulturelles Kapital" in die Untersuchung mit ein. Aussagen zur informatischen Kompetenz der Testpopulation können jedoch nicht gemacht werden, da dies nicht zum Untersuchungsgegenstand von PISA 2000 gehört.

Obwohl Informatik also nicht Thema von PISA ist, kann der PISA-Ansatz zur Bestimmung von Kompetenzen Jugendlicher beispielhaft für die Informatik-Didaktik sein. So verzichtet PISA (anders als noch TIMSS [2]) von vorne herein darauf, nach einem gemeinsamen "Kerncurriculum" der am Test beteiligten Nationen zu suchen, auf dessen Inhalte sich die Testfragen beziehen. Statt dessen werden Aufgaben gestellt, die 15-jährige (je nach Schwierigkeitsgrad unterschiedlich gut) beantworten können sollten, um an einer weiteren schulischen oder beruflichen Ausbildung und am gesellschaftlichen Leben erfolgreich und aktiv teilhaben zu können.

Möchte man die informatischen Kompetenzen von Jugendlichen untersuchen, so mag dieses Vorgehen auch auf nationaler Ebene angesichts der unterschiedlichen Entwicklung des Schulfaches Informatik in den Bundesländern sogar der einzig gangbare Ansatz sein. Da informatische Bildung (noch?) nicht in allen Schulsystemen für alle Schüler verankert ist, wird man untersuchen müssen, welche Informatik-Kompetenzen Schüler trotz, wegen oder unabhängig von der Schule haben.

Dieser Artikel soll dazu in folgenden Schritten beitragen: Zunächst wird der Grundbildungs- oder Literacy-Ansatz von PISA für den Bereich Mathematik skizziert, dann wird ein analoger theoretischer Rahmen für die Informatik entworfen, und schließlich werden Vorschläge zur Operationalisierung dieses Rahmens durch die Angabe von Testaufgaben gemacht. Diese Testaufgaben wurden in einem kleinen Rahmen bereits Schülern vorgelegt, so dass dabei festgestellte Auffälligkeiten berichtet werden können.

Mathematische Grundbildung bei PISA

Das internationale Rahmenkonzept von PISA verwendet den Begriff "Mathematical Literacy", um die Art der untersuchten mathematischen Kompetenzen festzulegen. Grob gesprochen ist Mathematical Literacy die Fähigkeit, "die Rolle, die Mathematik in der Welt spielt, zu erkennen und zu verstehen, begründete mathematische Urteile abzugeben und sich auf eine Weise mit Mathematik zu befassen, die den Anforderungen des gegenwärtigen und künftigen Lebens einer Person als eines konstruktiven, engagierten und reflektierenden Bürgers entspricht" [5, S. 41]. In der deutschen PISA-Berichterstattung wird der Begriff "Mathematische Grundbildung" verwendet, der gegenüber dem angelsächsischen Literacy-Begriff etwas weiter gefasst ist, da hierzu auch gehört, Mathematik als "deduktiv geordnete Welt eigener Art" [10] zu sehen.

Es würde zu weit führen, die Nuancen der Begriffe Literacy und Grundbildung hier zu diskutieren. Dazu sei auf [3, S. 139 ff.] verwiesen. Wichtig ist jedoch, dass Grundbildung nicht elementare Grundfertigkeiten meint, sondern durchaus auch das verständige Anwenden mathematischer Kenntnisse in inner- und außermathematischen Situationen sowie das Kommunizieren mathematischer Sachverhalte.

Die Arten mathematischer Anforderungen und damit die Testaufgaben wurden im internationalen Teil von PISA in drei Kompetenzklassen eingeteilt, die für den umfassenderen nationalen Teil der Erhebung in diese fünf Klassen differenziert wurden (nach [8]:)

Klasse 1A:
Zu dieser Klasse gehören Aufgaben, die nur technische Fertigkeiten und/oder den Abruf von Faktenwissen erfordern.
Klasse 1B:
Zu dieser Klasse gehören Aufgaben, die eine einschrittige Modellierung erfordern, was oft direkt auf einen Algorithmus führt.
Klasse 2A:
Zur Lösung ist überwiegend ein einziger begrifflicher Schritt erforderlich.
Klasse 2B:
Die Struktur der Modellierung ist mehrschrittig in dem Sinn, dass bei der Lösung Wissen aus mehreren mathematischen Zusammenhängen einzusetzen ist oder mehrfach gleichartige Schritte vorzunehmen sind.
Klasse 3:
Diese Klasse umfasst Aufgaben, deren Lösung einsichtsvolles mathematisches Denken, Begründen und/oder strukturelles Verallgemeinern erfordert.
Quer zu dieser Klassifizierung der Aufgaben (Items) liegt die Einteilung nach mathematischen Inhalten, für die nicht curriculare Fachgebiete wie "Algebra" oder "Geometrie" gewählt wurden, sondern Themenkreise oder Leitideen ("big ideas", für PISA 2003 "overarching ideas" genannt) wie "Veränderung und Wachstum" oder "Raum und Form".

Weder die Einteilung in Kompetenzklassen noch die Einteilung nach Leitideen stellt indes eine Einstufung der Schwierigkeit eines Items dar. Diese wird durch die Häufigkeit richtiger Lösungen innerhalb der Testpopulation bestimmt und ist damit eine empirische Größe. Angegeben wird sie durch eine Zahl auf der PISA-Punkte-Skala. Gewisse Intervalle dieser Skala werden dann zu den besser greifbaren Kompetenzstufen zusammengefasst, die somit eine Einordnung der empirischen Schwierigkeit von Test-Items geben. Andererseits werden auch Testpersonen aufgrund ihrer Antworten auf dieser Skala eingestuft, so dass Kompetenzstufen zugleich eine Abstufung von Fähigkeiten der Personen darstellen.

Informatische Literalität

Zu einer Untersuchung der Informatik-bezogenen Fähigkeiten von Jugendlichen im Geiste von PISA ist folgendes Vorgehen nötig: Zunächst ist zu klären, um welche Fähigkeiten es gehen soll, d.h. es ist der Begriff der informatischen Grundbildung oder der informatischen Literalität zu definieren. Hier sei vorgeschlagen, den Begriff "Literalität" zu verwenden, denn "Grundbildung" kann durch Betonung des Wortteils "Grund" zu leicht auf elementare Kenntnisse reduziert werden. Dann wird es nützlich sein, die verschiedenen Arten Informatik-bezogenen Arbeitens im Sinne der Kompetenzklassen der Mathematik einzuteilen und die Intention durch Angabe beispielhafter Aufgaben zu verdeutlichen.

Sicher ist es auch wünschenswert, die "overarching ideas", also die übergreifenden oder umfassenden Ideen der Informatik zu nennen. In dieser Richtung liegen in der Informatik-Didaktik bereits verschiedene Vorschläge vor, u.a. die in [9] formulierten "fundamentalen Ideen" oder die "Grundmenge informatischer Lerninhalte" aus [7, S. 81], die sich beide auf Informatikinhalte beziehen. Andere Vorschläge beziehen sich nicht nur auf Informatikinhalte, sondern auch auf Arten informatischen Tuns, so [4], der als spezifische Ziele informatischer Bildung (neben anderen) die "Einsicht in den Aufbau, die Darstellung und Semantik von Sprachen..." und die "Fähigkeit zum Problemlösen mit Informatiksystemen" sieht. Während ersteres ein Inhalt der Informatik ist, ist letzteres eine quer zu den Inhalten liegende Kompetenz.

Angesichts der zahlreichen sich teilweise ergänzenden, teilweise aber auch gegenläufigen Vorschläge, Ordnung in Themen und Ziele des Informatikunterrichts zu bringen, kann man aus PISA vielleicht lernen, dass es zweierlei Arten der Einordnung gibt, die nach Inhalten des Fachs und die nach Arten der Beschäftigung mit dem Fach. In diesem Lichte relativiert sich beispielsweise die Kritik in [1] am Konzept der "fundamentalen Ideen", denn bei diesen geht es um fachliche Inhalte, dort dagegen unter dem Stichwort "didaktische Leitlinien" bzw. "didaktische Leitfragen" um Arten der Beschäftigung mit dem Fach.

In diesem Beitrag soll der Versuch gemacht werden, die Arten der Beschäftigung mit Informatik in einer Weise zu klassifizieren, die der Lebenswirklichkeit von Jugendlichen in einer Industrienation entspricht. Für die Inhalte wird lediglich in Zusammenhang mit den vorgestellten Beispielaufgaben eine Einordnung zu Leitideen der Informatik angegeben, ohne dass damit die Bedeutung der Idee gewertet werden soll oder gar eine Ausschöpfung der Ideen der Informatik angestrebt wird.

Beginnen wir also mit dem Programm zur Definition informatischer Literalität: In Anlehnung an den allgemeinen Grundbildungsbegriff von PISA und unter Berücksichtigung der "Empfehlungen für ein Gesamtkonzept zur informatischen Bildung an allgemein bildenden Schulen" der Gesellschaft für Informatik [6] sei diese Definition vorgeschlagen:

Informatische Literalität ist die Fähigkeit einer Person, die Rolle zu erkennen und zu verstehen, die Informatik und Informatiksysteme in der Welt spielen, fundierte auf informatischem Wissen beruhende Urteile abzugeben und sich auf eine Weise mit der Informatik und ihren Anwendungen zu befassen, die den Anforderungen des gegenwärtigen und künftigen Lebens dieser Person als konstruktivem, engagierten und reflektierendem Bürger entspricht

Konkreter wird die Definition durch die Angabe der Arten der Beschäftigung mit Informatik-Inhalten in Form von Kompetenzklassen, für die diese Aufteilung vorgeschlagen sei:

Klasse 1 (Anwendung):
Zu dieser Klasse gehört das Anwenden von Informatiksystemen, und zwar solchen allgemeiner Art wie auch solchen, die auf spezielle Aufgaben zugeschnitten sind, um Probleme des persönlichen Umfelds zu bewältigen. (Die Grenze zwischen Systemen allgemeiner und spezieller Art ist fließend. Betont werden soll, dass gleichermaßen ein Textverarbeitungsprogramm, ein Internet-Browser, ein Mobiltelefon oder ein digitales Kartenwerk zusammen mit einem GPS-Gerät zu den betrachteten Informatiksystemen zählt.)
Klasse 2 (Gestaltung):
Zu dieser Klasse gehört das Gestalten von Informatiksystemen. Informatiksysteme werden auf der Grundlage eines Modellierungsprozesses gestaltet, in dem eine inner- oder außerinformatische Aufgabenstellung mit Hilfe von Mitteln der Informatik gelöst wird. Hierbei wird oft auf bestehende Informatiksysteme zurückgegriffen, die bei der Lösung der neuen Aufgabe verwendet werden. Insofern ist ein Verständnis der Funktionsweise und Struktur der zugrunde gelegten Systeme notwendig, das über ein Anwenderwissen der Klasse 1 hinausgeht. Zudem ist allgemeines informatisches Fachwissen erforderlich, das in die Erstellung des informatischen Modells eingeht.
Klasse 3 (Entscheidung):
Zu dieser Klasse gehören die Kompetenzen, die zum verantwortungsvollen Entscheiden über den Einsatz und die Entwicklung von Informatiksystemen benötigt werden. Dazu bedarf es informatischen Wissens über prinzipielle und praktische Möglichkeiten und Grenzen von Informatiksystemen sowie reflektierter Einschätzungen der Auswirkungen von Informatiksystemen im gesellschaftlichen Kontext sowie auf das Individuum.

Im Weiteren sollen diese informatischen Kompetenzen durch Beispiel-Items operationalisiert werden. Dadurch wird weiter illustriert, was unter den Kompetenzen verstanden wird. Wegen der kleinen Zahl der darstellbaren Items birgt dies freilich auch die Gefahr der Missinterpretation durch eine Verengung auf die dargestellten Fragestellungen. Es sei deshalb betont, dass die dargestellten Beispiele die Kompetenzen der einzelnen Klassen nicht vollständig beschreiben können, ja dass sogar die Zuordnung zu einzelnen Klassen im Einzelfall unterschiedlich erfolgen kann.

Beispielaufgaben zur Ermittlung informatischer Literalität

Bei der Erstellung der folgenden Beispielaufgaben wurde ein Prinzip befolgt, das bereits zahlreichen PISA-Aufgaben aus dem Bereich Mathematik, besonders aber den PISA-Aufgaben aus dem Bereich Naturwissenschaften zugrunde liegt: Die Aufgabe bietet zunächst einen realistischen oder realitätsnahen Sachkontext (Stimulusmaterial) dar, auf den sich anschließend mehrere Fragen beziehen. Es wurde versucht, die Kontexte so zu wählen, dass sie potenziell der Erfahrungswelt von Schülerinnen und Schülern der Mittelstufe entstammen.

In einer ersten explorativen Untersuchung wurde das Testmaterial ca. 80 Schülerinnen und Schülern vorgelegt. Diese Anzahl ist natürlich zu klein, um statistisch fundierte Aussagen über die empirische Schwierigkeit der Items treffen zu können. Die Antworten der Schüler geben jedoch wertvolle Hinweise auf typische zu erwartende teilrichtige oder falsche Antworten, insbesondere bei Items mit offenem Antwortformat. Solche Auffälligkeiten werden beim jeweiligen Item mit berichtet und auch zum Anlass genommen, die Item-Fragestellung oder Variationen der Item-Gestaltung zu diskutieren.

Im Folgenden wird zu jedem Themenkreis das Stimulusmaterial in einem Kasten angegeben. Im laufenden Text erscheinen die Fragen dazu, gefolgt von der Einordnung hinsichtlich der Kompetenzklassen und informatischen Leitideen. Anschließend werden die erwarteten Antworten und typische falsche oder teilrichtige Antworten diskutiert, die in der explorativen Schülerbefragung beobachtet wurden. Hinzu kommt dann die Besprechung möglicher Item-Variationen.

WWW

Wir beginnen mit zwei Test-Items zur informatischen Idee der "Vernetzungen":

Abbildung 1: Stimulusmaterial WWW


Abbildung 1 zeigt das Stimulusmaterial zu dieser Frage:

 



Frage WWW1:
Nimm an, dass Marion gerade Seite B in ihrem Internet-Browser sieht. Was muss sie tun, damit Seite A angezeigt wird?

Die Frage ist der Kompetenzklasse 1 zuzuordnen. Es ist das Wissen des Benutzers eines Internet-Browsers erforderlich, um die richtige Antwort "Homepage anklicken" anzugeben. Die Lösungshäufigkeiten unter den befragten Schülern zeigen, dass dies in großem Umfang auch von den Jugendlichen beherrscht wird, die selten einen Computer oder das Internet benutzen.

Die einige Male gegebene Antwort "zurück klicken" wurde als falsch gewertet, da es nicht sicher ist, dass die Homepage der Klasse 8b die zuvor betrachtete Seite ist. Außerdem steht ein "zurück"-Button nicht notwendig zur Verfügung. Trotzdem ist bei diesen Jugendlichen davon auszugehen, dass sie in der Situation am Computer die gewünschte Seite hätten ansteuern können. Eine andere falsche Antwort, die einige Male genannt wurde, ist "Der Raum vorher anklicken". Hier konnten die Testpersonen offensichtlich nicht zwischen dem Inhalt der Seite und der Navigation zwischen Seiten unterscheiden.

Abbildung 2: Alternatives Stimulusmaterial WWW



Als zweite Frage zum selben Stimulusmaterial wurde gestellt:

 



Frage WWW2:
Beschreibe, wie Klasse 8b beim Erstellen ihrer Internet-Seiten vorgegangen ist, um die Seiten A und B miteinander zu verbinden.

Hier wurde als Antwort die Angabe erwartet, dass beide Seiten miteinander durch Hyperlinks verbunden werden. Bei der Auswertung ist eine Codierung der Antworten möglich und sinnvoll, mit der erfasst wird, in welchem Umfang die Testpersonen Kenntnisse zur technischen Realisierung der Hyperlinks haben.

Die Aufgabe zählt zu Kompetenzklasse 2, da hier das Erstellen eines "Informatiksystems", nämlich der speziellen Seitenstruktur der Klasse 8b, dargestellt werden muss. Dabei sind Kenntnisse über das zugrunde liegende Informatiksystem "Internet-Seiten und ihre Verbindungen" nötig.

Es ist auffällig, dass von den ca. 80 Testpersonen diese Frage sehr viel seltener richtig beantwortet wurde als die Frage WWW1 und dass bei den Testpersonen die Häufigkeit der Computernutzung eine Rolle zu spielen scheint. Unter den falschen Antworten sind vor allem diejenigen zu nennen, die die Symmetrie der Situation nicht beachtet haben: Die Seiten sind wechselseitig durch Hyperlinks zu verbinden, das Einfügen eines Links auf nur einer Seite genügt nicht. Hier deutet sich an, dass die empirische Itemschwierigkeit stark von der Itemformulierung abhängen kann. So könnte die Symmetrie der Vernetzung explizit in die Frage aufgenommen werden, es könnte eine präzise Schilderung verlangt werden ("Gib möglichst genau an...") oder es könnte bei der Auswertung durch eine Vergabe von Teilpunkten auf teilrichtige Antworten reagiert werden.

Schließlich ist noch zu erwähnen, dass den am Test teilnehmenden Schülern nicht immer klar war, dass die Kästen zu den Seiten A und B Bildschirminhalte darstellen. Man könnte dies im Stimulusmaterial noch deutlicher hervorheben oder man könnte tatsächlich Screenshots verwenden, wie es Abbildung 2 zeigt. Die Darstellung durch Screenshots bringt allerdings eine gewisse Produktabhängigkeit ins Spiel, da das Aussehen u.a. vom verwendeten Browser abhängt.

In einem Testkontext wie der PISA-Studie wäre es möglich, den Einfluss solcher Faktoren zu klären, indem in verschiedenen Testheften unterschiedliche Darstellungen des Stimulus-Materials verwendet werden. Damit ließen sich auch verstärkt Rückschlüsse auf den Zusammenhang der gemessenen informatischen Literalität mit der ebenfalls gemessenen Lesekompetenz durchführen.

Kopierprogramm

Abbildung 3: Stimulusmaterial Kopierprogramm


Zum Stimulusmaterial aus Abbildung 3 wurden zwei Fragen gestellt:

 



Frage Kopierprogramm 1:
Das Bedienungsfenster gibt "Schnell" als Qualitätsstufe an und nicht als Geschwindigkeitsbezeichnung. Woran kann das liegen?

Kreuze die richtige Antwort an:

O Das Bedienungsfenster würde unübersichtlich, wenn die Geschwindigkeiten extra aufgeführt würden.
O Beim schnellen Kopieren wird eine geringere Qualität verwendet.
O Beim schnellen Kopieren trocknet die Druckerfarbe schneller. So wird ein Verwischen der Farbe vermieden und die Qualität verbessert.
O Die Bezeichnung "schnell" hat eigentlich nichts mit der Qualität zu tun. Es werden andere Programme auf dem Computer angehalten, bis die Kopie gedruckt ist. So wird bei gleicher Qualität die Geschwindigkeit erhöht.

 





Frage Kopierprogramm 2: Gib möglichst genau an, wie beim Kopieren mit der Einstellung "Schnell" die Geschwindigkeit gegenüber der Einstellung "Normal" erhöht wird.

In beiden Fragen zum Kopierprogramm geht es um dasselbe Thema, allerdings ist in der ersten Frage die richtige der angegebenen Antworten zu wählen ("es wird eine geringere Qualität verwendet"), bei der zweiten ist selbständig zu formulieren, dass die Erhöhung der Geschwindigkeit im Wesentlichen auf eine geringere Auflösung der Kopie zurückzuführen ist.

Die erste Frage sollte man zum verständigen Anwenden der Kopiersoftware beantworten können, sie gehört daher zur Kompetenzklasse 1. Sicher wäre es auch wünschenswert, dass Anwender den technischen Hintergrund verstehen, der in Aufgabe 2 abgefragt wird. Wirklich notwendig ist dieses Wissen aber erst beim Erstellen des Systems "Kopierprogramm", so dass Frage 2 eher der Kompetenzklasse 2 zugerechnet werden kann.

Inhaltlich gehören die Fragen zur Leitidee "Konkurrenz von Platz und Zeit".

Die Auswertung der ca. 80 Fragebögen der Versuchsgruppe ist hier recht interessant: Es zeigt sich, dass Schüler der elften Jahrgangsstufe deutlich besser abschneiden als Schüler der Klasse 8, und auch die Häufigkeit der Computernutzung spielt eine große Rolle. Diese Tendenz ist bei den Fragen zum Kopierprogramm ausgeprägter als bei anderen Items. Die beiden Items unterscheiden sich aber auch untereinander stark: Im Multiple-Choice-Format wurde die Frage sehr häufig richtig beantwortet, wenn auch gerade in Klassenstufe 8 die Distraktoren noch gerne gewählt wurden. Im offenen Format scheint die Frage für Schüler der achten Klasse sehr schwierig zu sein.

Im Multiple-Choice-Format mag ein Nachteil der Formulierung sein, dass die richtige Antwort die kürzeste ist, in der keine weitere Erklärung angegeben wird. Verzichtet man auf die Kombination beider Fragen, so lässt sich hier noch der erklärende Zusatz machen "...wird die Qualität geringer, weil eine geringere Auflösung verwendet wird.".

Adressenverzeichnis


Abbildung 4: Stimulusmaterial Adressenverzeichnis


Das Material aus Abbildung 4 liegt den folgenden beiden Items zugrunde:

 



Frage Adressenverzeichnis 1:
Wieviele Einträge kann Markus höchstens in sein Adressenverzeichnis schreiben? Gib auch eine kurze Begründung an.

Das Adressenverzeichnis lässt sich als einfache Hashtabelle auffassen, ohne dass Schüler diesen Bezug erkennen müssen. Die Hashfunktion ist durch die Zuordnung aufgrund des Anfangsbuchstabens gegeben, wobei innerhalb der dadurch bestimmten Seiten eine unsortierte Liste verwendet wird. Dieses Item zeigt sehr schön, dass es Informatik-Inhalte gibt, die Schülern der Mittelstufe sehr gut zugänglich sind, wenn man sie innerhalb des Erfahrungshorizonts von Jugendlichen formuliert: etwa 80% der Testpersonen lösten die Aufgabe richtig, und es spielte hier auch weder das Alter noch der Informatik-Hintergrund der Probanden eine Rolle. Als Begründung für das Ergebnis "130 Einträge" genügte bereits das einfache Hinzufügen der erforderlichen Rechnung "5*26".

Wissen über Hashtabellen ist für Anwender von Informatiksystemen in der Regel nicht erforderlich. Dort, wo dieses Wissen gebraucht wird, darf man bereits die Gestaltung von Systemen unterstellen (z.B. die Erstellung einer Datenbankanwendung mit Hilfe eines Datenbank-Management-Systems). Daher ist diese Frage der Kompetenzklasse 2 zuzuordnen.

Inhaltlich gehört das Item wie auch das folgende zur Idee "Ordnen und Strukturieren".

 



Frage Adressenverzeichnis 2:
Nach einer Weile enthält das Adressbuch 57 Einträge. Welche Aussagen treffen zu? Kreuze alle richtigen Antworten an:
O Auf jeder Seite muss mindestens eine Adresse stehen.
O Es kann Seiten geben, die noch keine Adresse enthalten.
O Es muss eine Seite geben, auf der schon 2 Adressen stehen.
O Es muss eine Seite geben, auf der schon 3 Adressen stehen.
O Es muss eine Seite geben, auf der schon 4 Adressen stehen.
O Es kann eine Seite geben, die schon voll ist.

Diese Fragestellung ist für Anwender eines Informatiksystems nicht relevant, da man davon ausgehen wird, dass ein Informatiksystem die Überfüllung von Bereichen einer Hashtabelle selbstständig erkennt und Mechanismen bereitstellt, das Speichern weiterer Daten dennoch zu ermöglichen. Das Problem des Füllgrades der Hashtabelle sollte dem Anwender damit verborgen bleiben. Sicher ist es für Gestalter von Informatiksystemen notwendig, diese Problematik zu kennen. Für Gestalter sollte dies aber zugleich mit der Frage nach einer Problemlösung verbunden sein (etwa "Was kann Markus tun, wenn auf der Seite für "S" bereits 5 Einträge sind und er seinen Freund Max Schmidt eintragen will"). Wir ordnen die Fragestellung daher der Kompetenzklasse 3 zu, denn hier geht es um Entscheiderwissen in dem Sinne, dass eine Entscheidung über die Tauglichkeit des beschriebenen Adressbuches getroffen werden muss. Dabei wird angenommen, dass der Modus des Beschreibens nicht geändert wird (dass also keine Veränderung der Hashfunktion gestattet ist).

Die Frage "Adressenverzeichnis 2" wurde von knapp der Hälfte der befragten Schülerinnen und Schülern richtig gelöst. Dabei ist zu berücksichtigen, dass ein Teil der Item-Schwierigkeit sicher daher rührt, dass alle richtigen Antworten anzukreuzen sind. Betrachtet man den Anteil der Schüler, die sich bei einem Teil der Möglichkeiten richtig entschieden haben, so ist das Ergebnis deutlich besser.

Bits&Bytes

Hier wurden drei Fragen ohne zusätzliches Stimulus-Material gestellt:

 



Frage Bits&Bytes 1:
Der ASCII-Code der Ziffer "1" ist 00110001. Gib an, wie die Zeichenkette "1332" in 4 Byte des Computerspeichers dargestellt wird:

(Es folgte ein Raster mit 32 Kästchen zum Eintragen der Bits.)





Frage Bits&Bytes 2: Erläutere, warum die (Dezimal-) Zahl 1332 nicht als Binärzahl mit 8 Bit gespeichert werden kann.




Frage Bits&Bytes 3: Welche dieser 2-Byte Binärzahlen stellt die Zahl 1332 dar? Kreuze die richtige Antwort an.
O 0000 1010
0110 1000
O 0010 0011
0111 1100
O 0000 0101
0011 0100
O 0001 0011
0011 0010
O 0000 1101
0010 0000

Alle drei Items erfordern Gestaltungswissen, da es um die interne Darstellung von Daten im Rechner geht. In gewissem Umfang ist solches Wissen auch bei der Benutzung etwa einer Tabellenkalkulation nötig (sonst kann man die unterschiedlichen Zellformate nicht sinnvoll nutzen), es wird dort aber nicht in der hier abgefragten Tiefe gebraucht. Daher werden diese Aufgaben der Kompetenzklasse 2 zugerechnet.

Inhaltlich lassen sich die Fragen der Idee "Information und ihre Darstellung" zuordnen.

Man mag darüber diskutieren, ob solche technischen Fragen in einem Test zur informatischen Literalität gestellt werden sollen. Betrachtet man die normative Wirkung, die große Vergleichstests wie PISA auf die Schulcurricula haben können, so wird man diesen Fragen gegenüber vielleicht eher abgeneigt sein, denn ihre Veröffentlichung im Zusammenhang mit einer Schulleistungsstudie könnte das Signal aussenden, dass technische Details in den Mittelpunkt des Unterrichts rücken sollen. Andererseits wird man beim Erwerb informatischer Bildung ab einem gewissen Niveau nicht umhin können, auch die Computer-interne Darstellung von Information bis hin auf die Byte-Ebene wenigstens zur Kenntnis zu nehmen. Aus dieser Kenntnis heraus hat man gute Chancen, die richtigen Antworten der Bits&Bytes-Fragen zu konstruieren. Es ist nirgends nötig, den ASCII-Code oder Zweierpotenzen auswendig zu wissen.

Insofern plädiere ich dafür, derartige Fragen (in nicht zu großem Anteil) auch in Tests zur informatischen Literalität aufzunehmen, denn sie liefern Erkenntnisse darüber, welche der doch notwendigen technischen Kenntnisse Schülerinnen und Schüler im Rahmen der sicher anders formulierten Unterrichtsschwerpunkte mit erwerben.

Systemkomponenten

Abschließend sei noch eine Fragestellung skizziert, die der Kompetenzklasse 3 zugeordnet werden kann, die aber noch nicht in einer Schülerbefragung verwendet wurde.

Dazu werden Angaben zu den Systemkomponenten eines Computers gemacht (beispielsweise 2,4GHz, 256MB, ...), die den entsprechenden Komponenten zugeordnet werden sollen (Taktfrequenz der CPU, Hauptspeicher, ...). Erweitert wird diese Aufgabe durch entsprechende Angaben für ältere Rechner, für die die Testpersonen die passenden Größenordnungen nicht aus Werbeanzeigen von Computermärkten kennen. Auch hier sind die richtigen Zuordnungen vorzunehmen.

Erforderlich ist dabei die korrekte Einschätzung der Leistungsmerkmale eines "typischen" Rechners in Relation zueinander. In der Situation der Jugendlichen geht es dabei um die Entscheidung bei einem potenziellen Computerkauf, also um die derzeit praktischen Grenzen informatischer Systeme, was zur Kompetenzklasse 3 gehört.

Informatische Literalität und Lesekompetenz

Es klang an verschiedenen Stellen schon an: Die Art der Präsentation eines Test-Items kann die Häufigkeit richtiger Antworten beeinflussen. Dabei kann die Art der Präsentation in der verbalen Formulierung, aber auch im Aussehen und der Anordnung graphischen Materials variieren. Bei einer großen Anzahl von Testpersonen kann dieser Einfluss systematisch untersucht werden, indem verschiedene Darbietungsformen eines Items in unterschiedliche Testhefte aufgenommen werden. Unterschiedliche Lösungshäufigkeiten für die verschiedenen Formen desselben Items deuten dann auf Unterschiede in der Lesekompetenz (oder auf Defekte in der Itemformulierung) hin. Liegen für die Testpersonen (wie bei PISA) zudem Ergebnisse aus einem Lesekompetenztest vor, so können weitere Interpretationen hinsichtlich des Einflusses der Darstellungsform erfolgen.

Das oben angeführte Test-Item "WWW1" legt aber noch eine andere Verbindung zur Lesekompetenz nahe: Einige der Versuchspersonen geben dort die falsche Antwort "Der Raum vorher anklicken", was auf eine mangelnde Unterscheidung von Seiteninhalt und Hypertextstruktur zurückzuführen ist. An dieser Stelle vermischen sich informatische und Lesekompetenz, man mag diesen Fehler (im Gegensatz zu anderen fehlerhaften Antworten) sogar eher einer mangelnden Lesekompetenz zuordnen. Das Item zeigt damit, dass auch die Lesekompetenz bezüglich Hypertexten in einem gewissen Umfang mit einem Papier-und-Bleistift-Test geprüft werden kann.

Schlussbemerkung

Dieser Beitrag macht einen Vorschlag zur Definition informatischer Literalität und konkretisiert ihn durch Angabe von Kompetenzklassen sowie Beispielen zu deren Operationalisierung. Sicherlich bedarf es weiterer Aufgabenbeispiele und deren Zuordnung zu den Kompetenzklassen, damit sich der Begriff der informatischen Literalität ausschärft. Möglicherweise legt ein solcher Prozess auch Verfeinerungen in der Definition der Kompetenzklassen nahe.

Seit der GI-Fachtagung "Informatik und Schule" im September 2003 an der TU München, auf der Teile dieses Beitrags bereits vorgestellt wurden, zeigt sich im Bereich der Informatik-Didaktik ein erfreuliches Interesse am Konzept der informatischen Literalität und ihrer Operationalisierung durch Test-Items. An verschiedenen Stellen und von verschiedenen Personen werden Items entworfen und hinsichtlich der damit testbaren Kompetenzen unter die Lupe genommen. Diese Aktivitäten sind zu bündeln mit dem Ziel, informatische Testaufgaben tatsächlich in einer größeren Studie zu verwenden. Dabei wäre es auch wünschenswert, wenn Test-Items aus anderen Untersuchungen, etwa aus PISA, einbezogen würden. Nur so können Rückschlüsse auf den Zusammenhang der informatischen mit mathematischer oder Lesekompetenz gezogen werden.

Literatur

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Fundamentale Ideen der Informatik -- gibt es das?
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Leske+Budrich, Opladen, 2000.
[3] Jürgen Baumert, Eckhard Klieme, Michael Neubrand, Manfred Prenzel, Ulrich Schiefele, Wolfgang Schneider, Petra Stanat, Klaus-Jürgen Tillmann und Manfred Weiß.
PISA 2000 -- Basiskompetenzen von Schülerinnen und Schülern im internationalen Vergleich.
Leske+Budrich, Opladen, 2001.
[4] Norbert Breier.
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LOG IN, 14(5/6):90-93, 1994.
[5] Organisation for the Economic Co-operation and Development (OECD).
Measuring student knowledge and skills. A new framework for assessment.
OECD, Paris, 1999.
[Schülerleistungen im internationalen Vergleich: Eine neue Rahmenkonzeption für die Erfassung von Wissen und Fähigkeiten. Berlin: Max-Planck-Institut für Bildungsforschung.].
[6] Fachausschuss 7.3 ,Informatische Bildung in Schulen`der Gesellschaft für Informatik e.V.:
Empfehlungen für ein Gesamtkonzept zur informatischen Bildung an allgemein bildenden Schulen.
[7] Peter Hubwieser.
Didaktik der Informatik. Grundlagen, Konzepte, Beispiele.
Springer, 2000.
[8] Norbert Knoche, Detlef Lind, Werner Blum, Elmar Cohors-Fresenburg, Lothar Flade, Wolfgang Löding, Gerd Möller, Michael Neubrand und Alexander Wynands.
Die Pisa-2000-Studie, einige Ergebnisse und Analysen.
Journal für Mathematik-Didaktik, 23(3/4):159-202, 2002.
Deutsche PISA-Expertengruppe Mathematik.
[9] Andreas Schwill.
Fundamentale Ideen der Informatik.
Zentralblatt für Didaktik der Mathematik, 1:20-31, 1993.
[10] Heinrich Winter.
Mathematikunterricht und Allgemeinbildung.
Mitteilungen der Gesellschaft für Didaktik der Mathematik, (61):37-46, 1995.

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